Wir müssen vorsichtig sein, wenn sich Mentalitäten in diese Richtung verschieben. Gerade in den letzten Wochen hatte ich mit einem Suizid zu tun – und ich merke, was das für Wunden schlägt bei den Menschen, die zurückbleiben. Ich muss viele Stunden reale Tränen trocknen. Andere begrüßen den Suizid in der Form des assistierten Suizids als Errungenschaft menschlicher Freiheit. Da kann ich nicht mit.

 

Über Suizid muss man mit großer Zurückhaltung sprechen. Es gibt viele Menschen, die davon betroffen sind – als unmittelbar Betroffene, als Angehörige, Freunde und Arbeitskollegen. Das ist immer eine absolute Ausnahmesituation, auf die man sich auch nicht wirklich vorbereiten kann.

Wenn Menschen überfordert sind oder in ganz schwierigen Situationen, dann taucht manchmal ein Sterbewunsch auf. Da braucht es dann viel Einfühlungsvermögen und konkrete Hilfe, um die Situation wieder lebbar und erträglich zu machen.

Seit 1. Jänner 2022 gilt in Österreich das Sterbeverfügungsgesetz. Damit wird die Selbsttötung von schwer kranken Menschen gesetzlich geregelt, auch die Mitwirkung anderer Personen.

Damit ist ein grundsätzliches Problem entstanden. Eigentlich möchte man in Österreich Suizide verhindern. Die Suizidprävention gehört zu den wesentlichen Aufgaben des österreichischen Gesundheitswesens – und sie ist tatsächlich sehr erfolgreich. Es gibt auch viele Hilfestellungen, z. B. die Telefon-Seelsorge oder die mediale Zurückhaltung bei der Berichterstattung von Suiziden. Jetzt aber gibt es einen geregelten Suizid, der durch Gesetz ermöglicht wird. Wie soll man das zusammenbringen? Dieselben Abgeordneten, die zurecht Gesetze zum Schutz des Lebens in der Corona-Pandemie beschlossen haben, beschließen nun, dass man sich selbst das Leben nehmen darf. In beiden Fällen sind viele andere Menschen betroffen. Für mich passt das nicht zusammen.

Die Entstehung des Sterbeverfügungsgesetzes hat eine lange Vorgeschichte. Es ist nicht plötzlich gekommen. Mit der menschlichen Schwäche, vor allem im Alter und bei Behinderungen, tut man sich schon lange schwer. Etwa ab 1890 war die Stimmung in der Gesellschaft so: Wer nichts leisten kann, wer der Gesellschaft nichts bringt und ihr zur Last fällt, dessen Leben ist wertlos. Es war die Zeit des Sozialdarwinismus: Nur die Starken sollen leben. Viele Publikationen von Medizinern, Psychiatern, Philosophen und Juristen haben die Mentalität in diese Richtung geprägt. So war die Euthanasie in der NS-Zeit mentalitätsmäßig vorbereitet.

Nach dem Schock der NS-Euthanasie dauerte es einige Jahrzehnte, bis das Thema der „Sterbehilfe“ wieder publizistisch und politisch gefördert wurde. Vor allem sich liberal nennende Journalisten, dazu Schriftsteller und Politiker haben das Anliegen des „Assistierten Suizids“ und der „Tötung auf Verlangen“ jahrelang vorangetrieben. Argumentiert wird dabei mit Mitleid und Humanität, mit Autonomie, Menschenwürde und tragischen Einzelfällen. Dazu kommen Meinungsumfragen bei Gesunden. Und Polemik gegen die katholische Kirche, die sich deutlich dagegen ausspricht. Belgien und die Niederlande waren Vorreiter. Die Niederlande weiten die Euthanasie-Regeln gerade auf schwer kranke Kinder zwischen ein und zwölf Jahren aus (The Guardian, 14. April 2023).

Der größere Kontext ist: Wer schaut auf die Schwachen? Mein Eindruck ist: Die Reichen, Jungen und Gesunden setzen sich durch. Mit Meinungsumfragen, Lobbying, Geld und Prägung der Mentalität, kurzum: mit Macht. Die Armen, Alten und Kranken haben nun die gesetzliche Möglichkeit, sich selbst das Leben zu nehmen, auch mit der Unterstützung anderer. Wer kümmert sich um die Armen, Alten und Kranken, wer spricht für sie und vertritt ihre Interessen?

Drei Dinge sind für mich wichtig. Erstens, dass wir Menschen, die in existentiell schwierigen Situationen sind, helfen. Durch Zuhören, konkrete Unterstützung, ärztliche und pflegerische Hilfe. Zweitens, dass bei schweren Erkrankungen oder im hohen Alter niemand zum Assistierten Suizid gedrängt wird, auch nicht indirekt durch das Erwähnen oder Nahelegen dieser Möglichkeit. Und drittens, dass wir alle sehr sensibel sind, wenn es um schwache Menschen geht – und uns für sie einsetzen. Dazu gehören auch Menschen, die vertrieben wurden aus ihrer Heimat. Wir alle sind auf Hilfe anderer angewiesen. Das verletzt nicht die menschliche Würde, es gehört zu unserem Mensch-Sein dazu. Autonom sind wir nur zusammen mit anderen.

 

Für „Die Tiroler“.