Es ist ein merkwürdiges,
doch einfaches Geheimnis der Lebensweisheit aller Zeiten,
dass jede kleinste selbstlose Hingabe,
jede Teilnahme, jede Liebe uns reicher macht,
während jede Bemühung um Besitz und Macht
uns Kräfte raubt und ärmer werden lässt.

Das haben die Inder gewusst und gelehrt,
und dann die weisen Griechen,
und dann Jesus, dessen Fest wir jetzt feiern,
und seither noch Tausende von Weisen und Dichtern,
deren Werke die Zeiten überdauern,
während Reiche und Könige ihrer Zeit verschollen und vergangen sind.

Ihr mögt es mit Jesus halten oder mit Plato,
mit Schiller oder mit Spinoza,
überall ist das die letzte Weisheit,
dass weder Macht noch Besitz noch Erkenntnis selig macht,
sondern allein die Liebe.

Jedes Selbstlossein, jeder Verzicht aus Liebe, jedes tätige Mitleid,
jede Selbstentäußerung scheint ein Weggeben, ein Sichberauben,
und ist doch ein Reicherwerden und Größerwerden,
und ist doch der einzige Weg, der vorwärts und aufwärts führt.

Hermann Hesse
(Die Kunst des Müßiggangs. Suhrkamp 1973. S. 78 f.
Erstabdruck am 25. Dezember 1907 im „Neuen Wiener Tagblatt“)

 

Die Geburt Jesu – Evangelium nach Lukas (2,1–21)

1 Es geschah aber in jenen Tagen, dass Kaiser Augustus den Befehl erließ, den ganzen Erdkreis in Steuerlisten einzutragen. 2 Diese Aufzeichnung war die erste; damals war Quirinius Statthalter von Syrien. 3 Da ging jeder in seine Stadt, um sich eintragen zu lassen. 4 So zog auch Josef von der Stadt Nazaret in Galiläa hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Betlehem heißt; denn er war aus dem Haus und Geschlecht Davids. 5 Er wollte sich eintragen lassen mit Maria, seiner Verlobten, die ein Kind erwartete. 6 Es geschah, als sie dort waren, da erfüllten sich die Tage, dass sie gebären sollte, 7 und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war.

In dieser Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde. Da trat ein Engel des Herrn zu ihnen und die Herrlichkeit des Herrn umstrahlte sie und sie fürchteten sich sehr. 10 Der Engel sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll: 11 Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr. 12 Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt.

13 Und plötzlich war bei dem Engel ein großes himmlisches Heer, das Gott lobte und sprach: 14 Ehre sei Gott in der Höhe / und Friede auf Erden / den Menschen seines Wohlgefallens. 15 Und es geschah, als die Engel von ihnen in den Himmel zurückgekehrt waren, sagten die Hirten zueinander: Lasst uns nach Betlehem gehen, um das Ereignis zu sehen, das uns der Herr kundgetan hat! 16 So eilten sie hin und fanden Maria und Josef und das Kind, das in der Krippe lag. 17 Als sie es sahen, erzählten sie von dem Wort, das ihnen über dieses Kind gesagt worden war. 18 Und alle, die es hörten, staunten über das, was ihnen von den Hirten erzählt wurde. 19 Maria aber bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen. 20 Die Hirten kehrten zurück, rühmten Gott und priesen ihn für alles, was sie gehört und gesehen hatten, so wie es ihnen gesagt worden war.

21 Als acht Tage vorüber waren und das Kind beschnitten werden sollte, gab man ihm den Namen Jesus, den der Engel genannt hatte, bevor das Kind im Mutterleib empfangen war.

 

Die Huldigung der Sterndeuter – Evangelium nach Matthäus (2,1–12)

Als Jesus zur Zeit des Königs Herodes in Betlehem in Judäa geboren worden war, siehe, da kamen Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem und fragten: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen. Als König Herodes das hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem. Er ließ alle Hohepriester und Schriftgelehrten des Volkes zusammenkommen und erkundigte sich bei ihnen, wo der Christus geboren werden solle.

Sie antworteten ihm: in Betlehem in Judäa; denn so steht es geschrieben bei dem Propheten: Du, Betlehem im Gebiet von Juda, / bist keineswegs die unbedeutendste / unter den führenden Städten von Juda; / denn aus dir wird ein Fürst hervorgehen, / der Hirt meines Volkes Israel.

Danach rief Herodes die Sterndeuter heimlich zu sich und ließ sich von ihnen genau sagen, wann der Stern erschienen war. Dann schickte er sie nach Betlehem und sagte: Geht und forscht sorgfältig nach dem Kind; und wenn ihr es gefunden habt, berichtet mir, damit auch ich hingehe und ihm huldige!

Nach diesen Worten des Königs machten sie sich auf den Weg. Und siehe, der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, zog vor ihnen her bis zu dem Ort, wo das Kind war; dort blieb er stehen. 10 Als sie den Stern sahen, wurden sie von sehr großer Freude erfüllt. 11 Sie gingen in das Haus und sahen das Kind und Maria, seine Mutter; da fielen sie nieder und huldigten ihm. Dann holten sie ihre Schätze hervor und brachten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe als Gaben dar. 12 Weil ihnen aber im Traum geboten wurde, nicht zu Herodes zurückzukehren, zogen sie auf einem anderen Weg heim in ihr Land.

 

Die Flucht nach Ägypten – Evangelium nach Matthäus (2,13–15)

13 Als die Sterndeuter wieder gegangen waren, siehe, da erschien dem Josef im Traum ein Engel des Herrn und sagte: Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter und flieh nach Ägypten; dort bleibe, bis ich dir etwas anderes auftrage; denn Herodes wird das Kind suchen, um es zu töten. 14 Da stand Josef auf und floh in der Nacht mit dem Kind und dessen Mutter nach Ägypten. 15 Dort blieb er bis zum Tod des Herodes. Denn es sollte sich erfüllen, was der Herr durch den Propheten gesagt hat: Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.

 

Wir gehen auf Weihnachten zu.

  • Wir haben alle unsere Lebenserfahrung, unsere Weltanschauungen, unsere religiösen Gedanken und Überzeugungen.
  • Wir haben alle unsere Form, Weihnachten zu feiern.
  • Heute: Einen Schritt zurück machen.
    • Was sind die Ursprünge dieses Festes in der Bibel?
    • Warum ist Weihnachten so kulturell prägend?
    • Was kann die Weihnachtsgeschichte für uns bedeuten?

 

Drei biblische Texte als Ausgangspunkte.

  • Die Geburt Jesu (bei Matthäus und Lukas)
  • Die Huldigung der Sterndeuter (bei Matthäus)
  • Die Flucht nach Ägypten (bei Matthäus)

 

Ein Kind, kein Kaiser.

  • Ein Kind: Freude über Neu-Beginn. Hoffnungszeichen bis heute in Familien. Nicht bedrohlich. „Wuzele“. Was wird aus dem Kind werden?
  • Kaiser Augustus als Kontrastfigur: politische und militärische Macht; imperiale Bauten.
  • Aus dem Schöpfungsbericht in der Hebräischen Bibel (Altes Testament oder Erstes Testament) wissen wir, dass der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen ist. Gott immer wieder bei den Kleinen und in Not geratenen (z. B. Auszug der versklavten Israeliten aus Ägypten; David und Goliath).
  • Jetzt, neu: Gott wird einer von uns. Gott setzt einen neuen Anfang.
    Gott wird Mensch. Er teilt nicht nur etwas über sich mit, er kommt selbst.
    Er kommt nicht wie ein Mensch, er kommt als Mensch.
    Jesus als der lange erwartete Messias.
  • Beginn einer neuen Zeitrechnung. Alles vor/nach Christi Geburt.
    • Familiäre Zeitrechnungen verändern sich auch. „Ich kann mich noch genau erinnern, als du auf die Welt gekommen bist.“

    Ein Stall an der Peripherie. Windeln als Erkennungszeichen.

    • Ein Stall am Ende der Welt, in Bethlehem. Nicht Damaskus, nicht Rom.
      Weil in der Herberge kein Platz für Maria und Josef war.
    • Ein unpassender, lächerlicher, grotesker Ort für den Heiland der Welt. Dass der allmächtige Gott sich so einen Platz aussucht?
      Sehen wir das heute noch?
    • Erkennungszeichen für den Erlöser der Welt sind die Windeln:
      „Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt.“
    • Krippe als Zusage: Es gibt einen Ort, wo sich Gott von jedem finden lässt, der ihn sucht: In der Not des anderen Menschen.
      Das symbolisiert der Stall, der heute in so vielen schönen Krippen in Häusern, Wohnungen und Kirchen präsent ist.
    • Leonard Cohen („Anthem“): “There is a crack in everything. That’s how the light gets in.”

     

    Alle sind willkommen.

    • Zur Krippe in Bethlehem kommen Hirten, Sterndeuter/Wissenschafter, Juden und Nicht-Juden, Engel. Schafe. Ochs und Esel sind auch da.
    • Der Esel ist wichtig auch beim Einzug in Jerusalem. Kein Pferd. Kein Allrad-SUV. Er zeigt mir, dass ich bei der Krippe auch einen Platz habe, wenn ich mir als Esel, als Idiot vorkomme.
    • ALLE können zur Krippe kommen. Starker Universalismus. Keine VIP-Lounge, keine Eintrittskarten, keine Mitgliedsausweise. Bis heute.
      Das Strahlen des neugeborenen Jesuskindes ist für alle Menschen da.
    • Nicht alle wollen zur Krippe kommen. Herodes und die Juristen im Palast in Jerusalem wissen alles, gehen aber nicht hinaus.
    • Herodes fürchtet sich vor diesem Kind; er fürchtet um seine Macht. Flucht Jesu mit seinen Eltern nach Ägypten. Kindermord in Bethlehem. Und dann Jesu Leben, ohne Gewalt, bis zum Ende am Kreuz.
      Krippe und Kreuz gehören zusammen. Martyrium, bis heute.
    • In der antiken Mythologie gibt es viele Göttersöhne.
      Aber keiner hat sein Leben hingegeben, so wie Jesus das getan hat.

     

    Warum Geschenke?

    • Manchmal sagen wir, wenn wir ein Geschenk bekommen: „Das wäre aber nicht notwendig gewesen.“ Genau so ist es mit der Geburt Jesu: ein Geschenk, unverdient, nicht notwendig.
      Nur weil es Gott gut mit uns meint. Aus Liebe.
    • Sterndeuter (in der Tradition: Könige) bringen Gold (für den König und die arme Familie), Weihrauch (für den Sohn Gottes und für guten Geruch im Stall) und Myrrhe (für die Hausapotheke – und als Hinweis auf Jesu Tod). Drei erwähnte Geschenke – darum drei Könige.
    • Tradition: Caspar/Afrika, Melchior/Europa, Balthasar/Asien.
      Im 12. Jahrhundert bekannte Erdteile. Zeichen für Universalität.
    • C+M+B = Christus mansionem benedicat. Christus segne dieses Haus.
    • Gemeinsam unterwegs, nicht alleine. Großes Projekt, große Reise. Heraus aus der Komfortzone. Gott-Sucher. Finden Gott an einem unerwarteten Ort, nicht im Palast. Vorbilder für uns.
    • 450 Weihnachtspakte für Häftlinge in der Justizanstalt Innsbruck.
      Viele Menschen denken an die Gefangenen. Niemand muss das tun, und doch geschieht es. Das Geschenk wird aus freien Stücken gegeben. Man muss nichts „zurück-schenken“.

      

    Fürchtet euch nicht!

    • Es gibt viele Gründe, sich zu fürchten. Unser Leben ist fragil.
    • Dagegen setzt das Evangelium die Botschaft:
      Fürchtet euch nicht. Ihr dürft euch freuen, und zwar alle.
      Keiner ist ausgeschlossen. Alle können dazugehören.
    • Das Kind in der Krippe ist für alle da:
      friedlich, verzeihend, nicht bedrohlich.

     

    Ein Kind ist ein Hoffnungszeichen; es wächst, es entwickelt sich, es ist ein Gegenbild zur Verzweiflung und zum Zynismus.

    Darum tut uns der Blick in die Krippe in der Seele gut, der lange, aufmerksame Blick auf das Jesuskind.

     

    Für den Lions Club Tyrol Ambras – Weihnachten 2022.