Wir kommen manchmal in hoch-emotionale Situationen, die uns belasten. Denken Sie an Erbschafts-Fragen in der Familie oder an die Corona-Impfung am Arbeitsplatz. Wie kann man damit umgehen? Niemand möchte dazu belehrt werden. Wir wollen selbst denken und zu einem guten Urteil kommen. Gerade komplexe Themen brauchen mehrere Perspektiven. Hier sind acht Fragen zur persönlichen Reflexion.

 

  1. Was regt mich auf – was genau?

Zuerst möchte ich mir selbst klar werden, was mich so stark ärgert. Manchmal hat sich etwas länger aufgestaut. Mehrere Dinge sind zusammengekommen. Oder ich fühle mich ungerecht behandelt. Da hilft es, die Dinge, die mich aufregen, auf ein Blatt Papier zu schreiben. So kann ich manches leichter auseinanderhalten. Fest steht: Mein Ärger ist real. Er zeigt mir, was mir wichtig ist im Leben. Aber ich möchte nicht im Ärger verbleiben. Das macht auf Dauer bitter. Präzision und Eingrenzung auf wesentliche Fakten hilft.

 

  1. In welcher Rolle bin ich?

Es ist normal, dass ich mehrere Rollen einnehme. Meine Rolle ergibt sich aus der Situation, aus meiner Aufgabe und aus der Zuschreibung durch andere. Wichtig ist, dass mir selbst klar ist, welche Rolle ich jetzt einnehme. Bin ich für andere verantwortlich – in der Familie, am Arbeitsplatz? Muss ich nur für mich entscheiden – oder auch für andere? Wer ist von meiner Entscheidung betroffen? Mit diesen Fragen bekomme ich Klarheit über meine Rolle und auch über mein Beziehungsnetz.

 

  1. Wen frage ich um Rat?

Wir alle suchen gute Menschen, die uns Rat geben. Spontan suchen wir oft solche Menschen und Informationen, die uns bestätigen. Bei schwierigen Themen brauchen wir aber mehrere Perspektiven. Im Jesuitenorden haben die Vorgesetzten einen Admonitor, einen Ermahner. Von ihm lasse ich mir etwas sagen, was ich vielleicht nicht so gerne hören möchte. Wer darf mir Unangenehmes oder Schwieriges sagen, damit ich auch andere Sichtweisen ernst nehme?

 

  1. Bei wem kann ich meinen Ärger abladen?

Ich möchte wieder innerlich ruhig werden. Das hilft, um nicht nur für ein Thema die ganze emotionale Energie zu verwenden. Am besten ist es, bei jemandem sein Herz auszuschütten. Was nicht hilft: Mit viel negativer Emotion anderen etwas schreiben, z.B. als e-mail oder auf Social Media. Das führt zur Eskalation – und ist nicht mehr rückgängig zu machen. Innere Ruhe erhalte ich durch das Gespräch mit Menschen, die mir wohlwollend zuhören.

 

  1. Was denken die anderen?

Es ist nicht egal, wie andere Menschen mich wahrnehmen. Wir leben in Beziehungen – und sind aufeinander angewiesen. Gerade in Familien und am Arbeitsplatz kann man sich nicht auf Dauer ausweichen. Wir wissen alle, dass wir andere Menschen nicht ändern können. Unsere eigene innere Haltung aber können wir selbst bestimmen. Und diese Haltung könnte sein: „Ich möchte dem anderen Menschen gut sein.“ Auch wenn ich seine Meinung in einer bestimmten Sache nicht teile. Ignatius von Loyola, der Gründer des Jesuitenordens, schreibt im Exerzitienbuch (Nr. 22): „Jeder gute Christ muss bereitwilliger sein, die Aussagen des Nächsten zu retten, als sie zu verurteilen. Und wenn er sie nicht retten kann, erkundige er sich, wie jener sie versteht.“  Hat der andere recht, zumindest teilweise?

 

  1. Wie kann ich mit den anderen gut weiter leben – nach dem Konflikt?

Im Konflikt-Modus sehen wir nur noch ein Thema. Das Leben ist aber größer und schöner als nur dieses eine schwierige Thema. Das Leben geht weiter, auch nach dem Konflikt. Darum ist es klug, Beziehungen nicht abzubrechen. Wir sind einander anvertraut, in guten und in bösen Tagen. Das gilt nicht nur für Eheleute. Wir müssen ein Stück weit die anderen Menschen aushalten. Und uns selbst auch. Dazu hat der Jesuit Michael Bordt ein lesenswertes Büchlein geschrieben: „Die Kunst, sich selbst auszuhalten.“

 

  1. Kann ich meine Entscheidung ändern?

Manchmal ändern sich die Umstände – und damit ändert sich meine Einschätzung der Situation. Es ist aber nicht so leicht, eigene Entscheidungen zu ändern. Der heilige Ignatius schreibt dazu: „Wahre dir in allen Dingen die Freiheit des Geistes. Schiele in nichts auf Menschenrücksicht, sondern halte deinen Geist innerlich so frei, dass du auch stets das Gegenteil tun könntest.“ (zitiert bei Hugo Rahner, Geistliche Briefe). Es braucht eine große innere Freiheit des Geistes, um eigene Entscheidungen zu überdenken.

 

  1. Wie komme ich zu einer neuen Gelassenheit?

Alles, was wir tun, bezahlen wir mit unserer Lebenszeit. Wenn wir die Tatsache unserer Endlichkeit manchmal an uns heranlassen, dann bekommen auch ganz emotionale Situationen wieder die richtige Proportion. Eigentlich möchten wir liebevolle und großzügige Menschen sein: mit uns selbst und auch mit den anderen. Das ist es, was am Ende unseres Lebens zählt – und nur das wird von uns bleiben. Dieser Blick führt uns, zusammen mit einer guten Portion Humor, zu einer neuen Gelassenheit. So kann ich meine Aufmerksamkeit auf das richten, was stärkt und nach oben zieht: Hoffnung und Zuversicht.

 

Verfasst für die Mitarbeiter/innen-Zeitung der Barmherzigen Schwestern in Zams/Tirol.