St. Radegund/Oberösterreich
Mt 5,1-12a (Ex 20,1-17)

Predigt am Todestag von Franz Jägerstätter 

 

Am 9. August 1943 wurde Franz Jägerstätter in Brandenburg enthauptet. Er ist seinem Gewissen gefolgt – nach einer langen Zeit der Entscheidung, auch gemeinsam mit seiner lieben Frau Franziska.

In diesem Gottesdienst möchte ich gemeinsam mit Ihnen darüber nachdenken, wo wir heute als Christinnen und Christen nach unserem Gewissen handeln müssen.

Als Lesung haben wir gerade die Zehn Gebote aus dem Buch Exodus gehört. Sie haben unser Rechtssystem geprägt, über viele hundert Jahre.

Im Nationalsozialismus wurde versucht, mit allen Mitteln die Gesetze Gottes außer Kraft zu setzen. Franz und Franziska Jägerstätter haben den Kulturbruch durch die Nazis erlebt. Sie wussten, was es heißt, wenn die Gebote Gottes nicht mehr eingehalten werden.

Ein besonders perfides Verbrechen der Nazis war die Euthanasie, die Tötung von behinderten Menschen, von Kranken, Alten und Gefangenen. Franz schreibt Franziska am 27. Februar 1941 aus Ybbs über die Euthanasie-Aktion, über die er von einem lokalen Bauern erfahren hatte.

Von Ybbs aus wurden 2.277 Menschen nach Hartheim gebracht und dort vergast. Es gab nur wenige, die sich öffentlich dagegen ausgesprochen haben.

Kardinal Clemens Graf von Galen hat am 3. August 1941 in Münster gegen das Euthanasie-Programm der Nazis gepredigt, vor genau 80 Jahren, Bischof Michael Memelauer zu Silvester 1941 in St. Pölten: „Vor unserem Herrgott gibt es kein unwertes Leben.“

Das Franz und Franziska Jägerstätter-Institut in Linz hat vor wenigen Wochen einen neuen Forschungsband zur NS-Euthanasie und zur Reaktion der Christen herausgegeben. Das Euthanasie-Projekt der Nazis hatte eine lange Vorgeschichte. Es ist nicht plötzlich gekommen. Die Stimmung in der Gesellschaft war schon ab 1890 so: Wer nichts leisten kann, wer der Gesellschaft nichts bringt und ihr zu Last fällt, dessen Leben ist wertlos.

Es war die Zeit des Sozialdarwinismus: nur die Starken sollen überleben.

Es ist wichtig, diese Vorgeschichte der Euthanasie in Erinnerung zu rufen. Es waren die Publikationen von Medizinern, Psychiatern, Philosophen und Juristen, die die Mentalität der Menschen geprägt haben.

Ich frage mich, wie das heute bei uns ist, hier in Österreich. Gibt es auch heute Entwicklungen, wo wir als Christinnen und Christen sagen sollen: Nein, da machen wir nicht mit?

Seit vielen Jahren gibt es Menschen, die sich dafür einsetzen, dass wir selbst unseren Todeszeitpunkt bestimmt können. Autonomie, Selbstbestimmung, ist zu einem sehr hohen Wert geworden. „Ich will selbst entscheiden, wann und wie ich sterbe.“ – das ist der Leitsatz.

Dass davon andere Menschen auch betroffen sind, das wird entweder nicht bedacht oder systematisch verschwiegen.

Vor allem sich liberal nennende Journalist/innen, dazu Schriftsteller und Politiker/innen haben das Anliegen des sogenannten „Assistierten Suizids“ und der „Tötung auf Verlangen“ jahrelang publizistisch vorangetrieben. Argumentiert wird immer mit Mitleid und Humanität, mit Autonomie, Menschenwürde und mit tragischen Einzelfällen. Und mit Polemik gegen die katholische Kirche, die sich deutlich dagegen ausspricht.

Am 11. Dezember 2020 hat der österreichische Verfassungsgerichtshof eine Entscheidung gefällt, die neuerlich einen Kulturbruch darstellt.

Bisher galt in Österreich die Suizidprävention: Suizide sollten verhindert werden.

Jetzt gilt die Suizidassistenz, das Recht auf Unterstützung beim Suizid.

Ich hatte gehofft, dass die dunkle Geschichte des Nationalsozialismus in Österreich uns vor so einem Urteil bewahren würde. Aber nun ist es da, und es gilt.

Der logische nächste Schritt ist die Erlaubnis zur Tötung auf Verlangen, die von einer Parlamentspartei auch schon verlangt wird [1].

Ich halte das Urteil des VfGH für ein echtes Fehlurteil.

Und ich mache den Mitgliedern des VfGH drei schwere Vorwürfe.

  • Sie haben den bisherigen Schutz vulnerabler Personen vor unfreiwilliger Euthanasie reduziert und die Schwächsten zu wenig berücksichtigt.
  • Sie hätten anders entscheiden können [2] – und haben es nicht getan.
  • Die Begründungen des Urteils sind deutlich unter dem juristischen Niveau, das man von einem Höchstgericht erwarten darf, gerade auch bei der Verwendung des Würde-Begriffs. Mit diesen unklaren Begründungen wird die Ersatzregelung nun extrem schwierig.

Viele Menschen in unserem Land finden die Suizidbeihilfe in einer ersten Reaktion ganz ok: Es gibt eine Möglichkeit mehr, das eigene Leben zu gestalten.

So denken Junge, Starke, Gesunde, Selbständige – mit vielen habe ich gesprochen. Sobald man aber über konkrete Details spricht, fangen sie an zu überlegen. Erst dann wird ihnen bewusst, was das bedeutet: jemanden bei der Selbst-Tötung zu unterstützen.

Was heißt das nun für uns als Christinnen und Christen?

Ich glaube, wir brauchen ein klares christliches Gegen-Programm – und das sind für mich die drei wichtigsten Punkte dabei.

Zuerst: Empathie und Mitgefühl für Menschen, die sich mit Suizid-Gedanken beschäftigen: bei schwerer Krankheit, in scheinbar aussichtslosen Situationen, bei Depressionen und Schicksalsschlägen, bei Angst und Einsamkeit.

Wir helfen diesen Menschen konkret: durch Besuche, Gespräche und durch fachliche Hilfe, damit eine schwierige Lebenssituation wieder erträglich wird.

Dazu gehören auch alle medizinischen Möglichkeiten der Schmerzlinderung, gerade in den stationären und mobilen Hospizen und Palliativstationen.

Zweitens braucht es bei uns Christen Klarheit über das Fünfte Gebot: Du sollst nicht töten.

Wir wissen, wie komplex medizinische Situationen sind, gerade auch am Lebensende. Und wir können damit auch umgehen. Die Hilfe bei der Tötung von Menschen ist aber für Christen nicht erlaubt, auch wenn sich jemand das für sich selbst wünscht oder wenn es das Gesetz ermöglich.

Beim Fünften Gebot gibt es wenig Spielraum: für einzelne nicht und auch nicht für katholische Institutionen.

Und schließlich, drittens, braucht es unseren öffentlichen Einsatz für den Schutz der Schwachen: der älteren Menschen, der finanziell Armen, der Behinderten, der Gefangenen und der schwer Kranken. Das ist heute nicht populär.

Wichtig ist, dass man reich, schön und gesund ist. Man muss leistungsfähig sein, man muss stark sein – und man muss konsumieren können. Sonst geht angeblich die Menschenwürde verloren. Der Sozialdarwinismus ist wieder da. Er kommt im Gewand der Selbstbestimmung daher.

Dagegen protestieren wir: als getaufte Christen und als Staatsbürger. Wer sich für die Tötung von Menschen einsetzt, der soll uns in dieser Sache als Gegner erkennen.

Ich persönlich habe mir vor drei Jahren beim Besuch in Schloss Hartheim vorgenommen, laut und deutlich gegen die Euthanasie aufzutreten. Und hier am Grab von Franz und Franziska Jägerstätter können wir alle die Kraft dafür bekommen, uns mit diesem schwierigen Thema zu beschäftigen – und eine Botschaft der Zuversicht zu formulieren, die uns von einer Kultur des Todes zu einer Kultur des Lebens führt.

Wenn nun die Regierung einen Gesetzesvorschlag für das Parlament erarbeitet, dann ist uns wichtig, dass die besonders gefährdeten Menschen geschützt werden – vor dem Druck der Verwandten, vor innerem Druck, vor Geschäftemachern.

Als Gefängniskaplan ist mir auch wichtig, dass Häftlinge ausdrücklich keinen Zugang zur Suizidbeihilfe erhalten. Besonders kranke Gefangene sehe ich als stark gefährdet an, den Assistierten Suizid als Ausweg aus ihrer schwierigen Situation zu wählen.

Vielleicht fragen Sie sich jetzt: Wo ist nun der Trost, das was uns aufbaut und stärkt?

Da hilft uns allen ein Blick auf Franz und Franziska. Sie sind gemeinsam durch sehr schwierige Zeiten gegangen. Viele von uns sind Franziska Jägerstätter noch begegnet. Sie ist für uns alle eine Inspiration bis heute, mit ihrem Lachen, ihrem Humor und ihrem Glauben.

Franz und Franziska Jägerstätter mögen uns gute Fürsprecher sein, damit wir in unserem Denken und Handeln klar bleiben, damit wir unserem Gewissen folgen, auch wenn viele es nicht verstehen und nicht damit einverstanden sind.

Seliger Franz Jägerstätter – bitte für uns!

Amen.

 

[1] Johannes Margreiter, Justizsprecher der Neos, Tiroler Tageszeitung vom 19. Juli 2021.

[2] Von unserer Verfassung her, von der europäischen Rechtssprechung her und aufgrund der bisherigen Rechtssprechung des VfGH selbst.