Unzufrieden mit dem Status quo. 

Können wir uns Jesus verärgert vorstellen? Oder zornig? Wäre Jesus ein Harmonie-Mensch gewesen: er wäre nicht gekreuzigt worden. Jesus war unzufrieden mit dem Status quo seiner Zeit. Wir dürfen diese Bibelstellen nicht überlesen. Die Machthaber damals haben genau gespürt: Dieser Mann ist gefährlich. Er arrangiert sich nicht. Das Leben ist nicht das höchste Gut für Jesus. Für ihn ist es die Hingabe seines Lebens.

Wenn das Herz die Mitte einer Person symbolisiert: Was ist dann heute mit dem Herzen Jesu gemeint? Wie würde Jesus reagieren auf den Kommentator, der voller Ressentiments und Hass schreibt? Wie auf den Politiker, der mit seinen Aussagen das Brunnenwasser unserer Gesellschaft vergiftet? Was würde Jesus sagen zum Sicherheitsbeamten, der religiöse Menschen seine Verachtung spüren lässt?

Wie würde Jesus reagieren auf Führungskräfte, die von Religion nicht belästigt werden wollen?

Jesus ist nicht nett. Und wer sich auf Jesus einlässt, auf sein Innerstes, auf sein Herz: der wird sich bald in Situationen wiederfinden, die ungemütlich sind.

Jesus, irrelevant.

Für viele Menschen ist Jesus irrelevant. Das war schon zu seiner Zeit in Israel so. Das darf uns auch nicht wundern: es ist ein anspruchsvolles Programm, das er uns vorlegt.

Heikel wird es, wenn Jesus auch in der Institution, die sich auf ihn beruft, wenig relevant ist. In der hierarchisch geordneten Kirche ist von der Dynamik eines 30-Jährigen wenig zu spüren. Die Kirchenverwaltungen sind staats-analog organisiert. An der Spitze stehen Bischöfe, die auch im allerbesten Fall niemals die überzogenen Erwartungen erfüllen können, die das Kirchenrecht vorgibt. Warum gibt es dafür keine Änderungsvorschläge durch die Kirchenrechtler? Dass wir keinen Plan haben, wie Frauen in der Kirche Leitungsverantwortung übernehmen können: Das trägt zur Irrelevanz Jesu bei, weil wir seine Botschaft unglaubwürdig machen.

Das Herz Jesu ist jung. Es ist relevant für uns, weil es alle scheinbaren Sachzwänge in Frage stellt. Sind wir als Kirche noch in Rufweite Jesu? Hören wir noch seine Stimme, spüren wir seinen Puls? Für die säkulare Welt mag das irrelevant sein. Für die Kirche ist der Herzschlag Jesu zentral. Von Jesus her ordnen sich die Dinge immer wieder neu – beim einzelnen Menschen und in den Institutionen.

Herz Jesu: Nichts für Feiglinge.

Sich als Christin oder Christ zu outen: das ist sehr vielen Menschen heute peinlich. Im Freundeskreis, in der Arbeit, und auch in der Familie. Gemeinsam beten: In der Kirche schon, Zuhause: eher nicht. Heute wird Religion zur Privatsache erklärt: vor allem von jenen, die nicht möchten, dass sich religiöse Menschen öffentlich zeigen und äußern.

Es braucht Mut, sich zu Jesus zu bekennen. Leichter ist es, feig zu sein. In der Nazi-Zeit wurden die Herz-Jesu-Feuer verboten. Trotzdem haben sie noch eine Weile gebrannt. Sie waren das Gegensymbol zum Hakenkreuz, das überall auf den Bergen leuchtete.

Es gibt Themen, mit denen macht man sich nicht beliebt. Wenn man dorthin schaut, wo Jesus hinschaut: zu Menschen in schwierigen Situationen. Alte, Behinderte, Drogensüchtige, Flüchtlinge, Gefangene, psychisch Kranke, Notstandshilfe-Empfänger, Obdachlose. Die organisierte Kirche hilft hier, zum Beispiel durch die Caritas. Die größte gesellschaftliche Kritik ist der Jahresbericht der Caritas.

Die Kirche wird geschätzt, wenn sie bestehende Verhältnisse stabilisiert und durch Krisen hilft. Die Kirche wird kritisiert, wenn sie bestehende Verhältnisse hinterfragt. Es ist ein schmaler Grat zwischen Anpassung und Widerspruch. Das Herz Jesu, seine Gewaltlosigkeit, seine Herzenskraft: sie ist für Christinnen und Christen ein verlässlicher Kompass.

Herz Jesu: Offen für alle.

Im Messbuch der Katholischen Kirche heißt es: „Das Herz des Erlösers steht offen für alle, damit sie freudig schöpfen aus den Quellen des Heils.“ Darf man, wenn man nicht getauft ist, in eine Kirche gehen? Ja, man darf. Und wenn man aus der Kirche ausgetreten ist? Auch dann. Und als Buddhist oder Muslim? Ja, herzlich willkommen!

Zu Jesus können alle Menschen kommen. Schon zu seiner Krippe sind alle möglichen Leute gekommen: Hirten, Wissenschaftler, Neugierige, Kinder, Engel – und ein Ochs und ein Esel waren auch dabei. In unserer ausdifferenzierten und bunten Gesellschaft ist Jesus, ist sein Herz, ein wichtiger Punkt, der Einheit stiften kann. Das wird stark unterschätzt. Wir Christinnen und Christen bleiben in unseren gewohnten Gruppen und wundern uns, dass sich das Leben anderswo abspielt.

Das Herz Jesu kann unsere Mentalität prägen. Die Offenheit für andere Menschen ist eine Mentalitätsfrage. Wenn etwas klar ist im Leben Jesu, dann ist es seine beständige Überschreitung traditioneller Grenzen. Er hat die Botschaft vom liebenden Gott radikal universalisiert. Gott möchte das Heil aller Menschen. Das Symbol dafür ist das Herz Jesu.

Tirol und das Herz Jesu

Der historische Bezug ist wichtig. Wir bewahren Traditionen auf und geben sie weiter an die nächste Generation. Traditionen sind wie Geländer: man kann sich daran festhalten, muss aber nicht.  

In Tirol ist die Verehrung des Herzens Jesu seit 1464 nachgewiesen (Fresko in der Kirche von Mellaun/Südtirol). Sie ist später stark mit den Jesuiten verbunden. Besonders im 18. Jahrhundert waren Jesuiten mit der Botschaft Jesu im ganzen Land unterwegs. Das war auch ein Gegengift zu einer strengen Frömmigkeitsströmung in der katholischen Kirche, dem sog. Jansenismus.

Vor dem Herz-Jesu-Bild in der Innsbrucker Jesuitenkirche hat schon Andreas Hofer gebetet. Das Bild ist eine Kopie jenes Bildes, das Pompeo Girolamo Batoni für die Jesuitenkirche Il Gesù in Rom gemalt hat. Es wurde 1767 vom damaligen Rektor des Jesuitenkollegs, Pater Augustinus Eggs SJ, beauftragt [1].

Die Tiroler Schützen haben 1959 die Herz-Jesu-Glocke für die Jesuitenkirche gespendet. Sie wurde in Innsbruck bei der Firma Grassmayr gegossen und wiegt neun Tonnen. Sie läutet jeweils zur Todesstunde Christi am Freitag um 15.00 Uhr sowie an hohen Feiertagen. Auch auf etwa 80 Schützenfahnen in Tirol ist das Herz Jesu abgebildet.

Seit 1796 wird das Gelöbnis des Landes Tirol an das Herz Jesu jährlich erneuert.

In der Jesuitenkirche Innsbruck kommt die Landesregierung bei einem Gottesdienst mit dem Bischof von Innsbruck zusammen. Die Landtagspräsidentin betet vor und alle Anwesenden vertrauen dann gemeinsam das Land Tirol der Liebe Jesu an. Zahlreiche kulturelle und humanitäre Veranstaltungen am „Tag der Herzlichkeit“ werden vom Bischof-Stecher-Gedächtnisverein koordiniert. 

Ist diese Form der Herz-Jesu-Verehrung „anschlussfähig“? Auch für Menschen, die keine Christen sind? Soweit ich Jesus kenne, wäre das für ihn kein Problem. Zu ihm können alle Menschen kommen. Tirol ist heute ein plurales Land, auch religiös.

So werden wir die Herz-Jesu-Feier weiterentwickeln müssen, damit die Gelöbniserneuerung für alle zugänglich wird. Das gilt auch für den Gottesdienst.

Gottesdienste gehören zur Außenseite der Herz-Jesu-Verehrung. Da gehören auch die Glocken dazu, die Bilder und Fahnen, die Präsenz der Politik und vieler Vereine.

Die Innenseite ist die Einladung, sich auf die Liebe Jesu einzulassen und zu bitten, dass unser Herz dem seinen ähnlich werde.

Für Tirol ist die Herz-Jesu-Verehrung eine starke Erinnerung daran, dass wir Menschen nicht nur Konsumenten sind, sondern unsere eigenen Interessen überschreiten und für andere da sein können.

So können wir auf Gottes Segen und seine Liebe vertrauen, symbolisiert im Herzen Jesu, das offen ist für alle.

 

Veröffentlicht in: Peter Jungmann (Hg.): Herz.Jesu.2021

 

[1] Der Maler des Innsbrucker Bildes ist unbekannt. Um 1792 wurde das Herz auf dem Bild übermalt, aufgrund der Dekrete von Joseph II. Kurz vor der Gelöbnisfeier im September 1796 wurde das wieder korrigiert.