Jesuitenkirche Innsbruck
Mt 4,12–17 (Jes 8,23b–9,3)

Ich möchte heute eine Predigt über das Reich Gottes halten.

Dieses Reich Gottes kommt im heutigen Evangelium zwei Mal vor: „Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe.“ Und dann heißt es: „Jesus zog in ganz Galiläa umher, lehrte in den Synagogen, verkündete das Evangelium vom Reich und heilte im Volk alle Krankheiten und Leiden.“

Was ist mit diesem Reich Gottes gemeint?

Es kommt ja auch im Vaterunser vor, gleich am Anfang: „Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.“

Ich möchte Ihnen dazu drei Gedanken vorlegen.

 

1. Vom Ich zum Wir.

Das Reich Gottes beginnt immer mit einzelnen Menschen.

Denken Sie an Abraham und Sara, an Petrus, an Maria Magdalena. Der einzelne Mensch ist in der biblischen Tradition Ebenbild Gottes. Das macht seine Würde aus, unverlierbar.

Das Reich Gottes zielt hin auf Gemeinschaft: das Volk Israel in Ägypten, die Apostel und Jünger Jesu, die Getauften als Volk Gottes unterwegs. Die biblische Dynamik verläuft also von einem starken Ich zu einem starken Wir.

Wenn wir auf unsere Wirklichkeit schauen, dann schaut es nicht immer so aus. Die kulturelle Leitfrage ist heute: „Was bringt mir das?“ Wenn diese Frage alle Bereiche unseres Lebens durchdringt, dann kommen wir zu einem dysfunktionalen Individualismus. Dieses Lebensmodell scheitert, weil es die anderen Menschen und die Umwelt ausblendet.

Im Reich Gottes kommt es auf die Verbindung von Menschen an, zu einer Gemeinschaft. Ganz klein, in Familie und Partnerschaft. Größer, in der politischen Gemeinde und in den Vereinen, in der Zivilgesellschaft, im staatlichen Verbund.

Die kleinen christlichen Gemeinschaften, die Pfarren, Orden und Diözesen, ja die Weltkirche, die gehören auch dazu – als sichtbare Zeichen der unsichtbaren Wirklichkeit, die Jesus selbst „Reich Gottes“ nennt.

Wie gelingt dieser Sprung vom Ich vom Wir?

Da gibt es viele Vorschläge und gelungene Ideen. Aber stärker als all das ist die Frage selbst: Wie gelingt der Sprung vom Ich zum Wir? Diese Frage müssen wir immer wieder stellen. So finden wir als Einzelne die Kraft, über unsere Eigeninteressen hinauszuschauen.

 

2. Vom Status quo zum Land der Verheißung.

Im Englischen gibt es das Sprichwort: „The only person who likes change is a wet baby.” Jede und jeder von uns kennt die Tendenz, sich im Status quo gemütlich einzurichten.

Der Status quo, so wie es jetzt ist: das ist nicht das Reich Gottes.

Man kann das Reich Gottes zwar an manchen Stellen sehen: dort, wo Gerechtigkeit und Friede herrschen, dort wo den Armen und Schwachen geholfen wird, dort wo sich Menschen für das Gemeinwohl einsetzen, gerade auch in der Politik.

Aber das ist nicht die ganze Wirklichkeit. Wir erleben jetzt die täglichen Bombardierungen von Elektrostationen in der Ukraine durch die russische Armee. Wir wissen um unfassbares Leid in Syrien, im Jemen, im Iran. Der Klimawandel ist in diesem Winter auch jenen klar geworden, die das bisher geleugnet haben.

In vielen Bereichen regiert das Recht des Stärkeren, nicht die Stärke des Rechts. Die Lüge ist oft präsenter als die Wahrheit, verstärkt durch neue Medien.

Wie soll man mit diesen vielen Krisen umgehen? Woher kommt die Energie, etwas Neues anzufangen, gerade wenn man selbst müde und erschöpft ist?

Das Reich Gottes ist eine kraftvolle Vision für ein gutes Zusammenleben. Die Zehn Gebote und die Bergpredigt sind verlässliche Orientierungspunkte für dieses Reich, gleichsam Geländer zum Festhalten, wenn vieles wackelt. Diese Orientierungspunkte bringen wir ein als Christinnen und Christen für die Gestaltung der Welt.

Reich Gottes ist also weder eine rein innerliche Angelegenheit noch eine Vertröstung auf’s Jenseits. Jetzt wollen wir mit-gestalten.

Manchmal sieht man erst an der Grenze, um was es wirklich geht. Wenn man krank oder im Gefängnis ist. Wenn Krieg ist und Ungerechtigkeit zu spüren ist. In diesen Situationen ist „Reich Gottes“ eine biblische Verheißung, die wir für unsere Zeit wieder neu ausbuchstabieren müssen, auch mit öffentlichen Stellungnahmen.

Dabei helfen uns Menschen aus der kirchlichen Tradition: Dietrich Bonhoeffer, Alfred Delp SJ, Franz und Franziska Jägerstätter, Stan Swamy SJ, Mutter Teresa. Sie haben sich für das Reich Gottes eingesetzt, mit Inspiration, Hingabe und dem Einsatz ihres Lebens.

 

3. Von unseren Vorstellungen zum Willen Gottes.

Wenn man in der katholischen Tradition lebt, dann ist klar: Wir arbeiten mit als Christinnen und Christen beim Reich Gottes. Wie wissen wir aber, wie das Reich Gottes sein soll – und was wir dazu beitragen können? Das Reich Gottes ist ja nicht die Projektion unserer Wünsche.

Im Vaterunser gibt es zwei Bitten hintereinander, die miteinander auch inhaltlich verbunden sind: „Dein Reich komme. Dein Wille geschehe.“ Was ist Gottes Wille?

Dafür bekommt man ein Gespür, wenn man in der Bibel liest. Dort lernen wir, worum es Gott geht. Jesus selbst ist das Bild des unsichtbaren Gottes[1]. Wenn wir uns an Jesus orientieren, wie er redet und handelt, dann merken wir mehr und mehr, was Gottes Wille ist.

Dazu gehört auch, dass wir uns etwas sagen lassen: von erfahrenen Menschen, von anderen Traditionen, von dem, was wir „Weltkirche“ nennen. Der synodale Prozess in der katholischen Kirche hilft, den Willen Gottes zu erkennen.

Jesus sagt ganz deutlich: „Sucht aber zuerst sein Reich und seine Gerechtigkeit; dann wird euch alles andere dazugegeben.“[2] Und dazu gibt es dann die eindrucksvollen Gleichnisse vom Schatz im Acker und von der Perle[3].

Im Englischen gibt es die Frage: „What would Jesus do?“ Was würde Jesus tun? Das ist ein ganz praktischer Weg, um nach Gottes Willen in den kleinen und großen Entscheidungssituationen zu suchen, in die wir gestellt sind.

Der Trost, der in der Verheißung vom Reich Gottes liegt, ist die Hoffnung auf einen Neu-Beginn – gerade wenn es um das Zusammenleben von Menschen geht, auch im Blick auf unseren Umgang mit der Natur.

Es tut uns gut, den Gedanken an das Reich Gottes stärker zu machen. Es tut uns gut, die Vaterunser-Bitte „Dein Reich komme.“ für uns selbst wieder neu durchzudenken.

Dann sind wir in der Spur Jesu, mit Zuversicht und Segen.

Amen.

 

[1] Kol 1,15
[2] Mt 6,33
[3] Mt 13,44-46